Abteilung Telecom: Lern- und Arbeitstechnik

Fritz Kubli, Zürich

Schwierige Sachtexte lesen - ein paar Tips und Tricks

Die nachstehenden Tips und Tricks zum Lesen schwieriger Sachtexte enstammen dem Weiterbildungskurs "Deutsch - Physik" für Gymnasiallehrer im November 1995. In einem Brainstorming haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zusammengetragen, was sie ihren Schülern und Schülerinnen an Hilfe anzubieten haben, wenn diese vor schwierigen Sachtexten kapitulieren wollen. Die Hinweise wurden von J. Niederhauser (Bern) und M. Nussbaumer (Zürich) gruppiert und redaktionell überarbeitet.
 

    Generell: Anders lesen - weiter lesen - wieder lesen

  • Das Lesen schwieriger Sachtexte ist - zumindest in einiger Hinsichten - ein anderes Lesen als das Lesen von Literatur (von dem die Schülerinnen und Schüler schon viel Erfahrung mitbringen): Es ist zunächst einmal "Arbeit" (die auch Lust bereiten kann). entsprechend muss an der Lesehaltung gearbeitet werden.
  • Langsam lesen - gewohnte Lesegeschwindigkeit drosseln.
  • Weiterlesen, auch wenn man etwas nicht versteht. Nicht bei der ersten Unverständlichkeit aufgeben.
  • Mehrfach lesen (auf Depot lesen).
  • Mit "System" lesen (siehe weiter unten).
  • Zyklisch lesen: Z.Bsp.: Lesen - Notizen machen/Fragen stellen - wieder lesen usw.
  • Reflektiert lesen: das eigene Lesen mit seinen Schwierigkeiten beobachten, kontrollieren.

    Auf sprachliche Verstehensklippen achten

  • Wörter, die ich nicht kenne; Wörter, die vielleicht etwas anderes bedeuten, als ich gewohnt bin (Wörterbücher benutzen).
  • Komplexe und verschachtelte Sätze: analysieren, umformen, vereinfachen.
  • Passivkonstruktionen: Warum ist das im Passiv geschrieben? Kann man es umformen?
  • Satzverknüpfungen (z.B. Konjunktionen) besonders beachten; Sätze, die sprachlich unverknüpft sind, müssen inhaltlich verknüpft werden.
  • Auf Textverweise (z.B. mit Pronomen) achten (sie sind oft mehrdeutig).
  • Genitivkonstruktionen (die generell mehrdeutig sind) ausdeuten.
  • Auffällige Ausdrucksweisen: Warum fällt mir das auf? Was könnte der Sinn davon sein?

    Text und Bild / Grafik

  • Was ist die Beziehung zwischen dem Text und dem Bild, der Grafik? Lassen sich die Grafiken verbalisieren? Was von der Grafik findet sich auch im Text, was nicht? Warum nicht?

    Texterschliessung durch Zusammenfassen und Anbinden an Vorwissen

  • Das Wichtigste in einem Satz.
  • Jeden Abschnitt stichwortartig zusammenfassen (auf einem Blatt; im Sinne von Marginalien oder Zwischentiteln).
  • Zwischentitel setzen. Unterscheiden: Zwischentitel, die Inhaltliches wiedergeben; Zwischentitel, die Textfunktionen wiedergeben (z.B. These - Begründung - Beispiel usw.)
  • Schlüsselbegriffe, Kernaussagen (evtl. grafisch anordnen, z.B. als MindMap).
  • Verschiedene Ebenen im Text unterscheiden (mit Farbstiften, mit Kürzeln am Textrand usw. arbeiten).
  • Wo schliesst der text an Bekanntes an? Was ist an diesem Text neu? Findet sich Bekanntes im Neuen?
  • Text anschliessen an früher Gelesenes, Besprochenes.
  • Was ist in diesem Text wichtig? Was scheint dem Autor wichtig? Was ist mir wichtig?
  • Was wurde weggelassen? Ausgeblendet? Warum?
  • Was ist überflüssig? Warum?
  • Text visualisieren.

    Texterschliessung durch Bearbeitung des Textes

  • Text umschreiben: in eine "einfachere" Version, in eine Kurzgeschichte, in einen mündlichen Vortrag, in einen Lehr-Dialog, in ein Rollenspiel usw.
  • Text weiterschreiben: die "Vorgschichte" dazu schreiben (das, was der Text voraussetzt und nicht sagt); die Fortsetzung dazu schreiben (Anwendungen überlegen; Beispiele suchen, die das im Text Dargestellte illustrieren usw.)

    Lese"arbeit" mit Schülerinnen und Schülern

  • Der Ausspruch "Ich habe den Text nicht verstanden." wird so global nicht akzeptiert. Irgend etwas versteht man (fast) immer. Und (fast) immer kann man ein Stück weit präzisieren, was man nicht versteht, warum man möglicherweise nicht versteht, wo die Widerstände (inhaltliche, emotionale) liegen. Solche Spezifizierungen sind erste Schritte zum Verstehen.
  • Leitfragen zur Lesesteuerung vorgeben.
  • Den Text vorgängig in den bisherigen Lernstoff einbetten.
  • Ziel und Zweck der Lektüre angeben.
  • Terminologie, Schlüsselbegriffe mit Erläuterungen auf einem Blatt beigeben.
  • Aufgabe zur Leseaufgabe: Jede Schülerin, jeder Schüler muss zwei Fragen zum Text formulieren.
  • Den Text in Kleingruppen besprechen lassen, allenfalls dann im Plenum.
  • Den Text ev. nicht im Plenum besprechen, aber als Auskunftsperson zur Verfügung stehen.
  • Arbeitsteilig vorgehen: Für einzelne Texte oder Textteile Expertinnen und Experten ernennen, die besondere Aufgaben zu erfüllen haben (Wörter nachschlagen; Text strukturieren; den Gehalt des Textes mündlich referieren; eine Grafik zum Text machen; Beispiele zum Text suchen usw.).
  • Entsprechenden Text in einem anderen Buch, ev. in einer anderen Textsorte lesen.
  • Den Text als Text - und nicht nur seinen Gehalt - thematisieren. Schülerinnen und Schüler dürfen Sachtexte - begründet - gut oder schlecht finden.
  • Die Lehrerinnen und Lehrer lesen und bearbeiten die Texte ebenfalls - auch wenn sie ihnen nicht neu sind.

26.10.2000 kn